Oberschwingungen Kapitel 1: Oberschwingungen – die Grundlagen

 6 Themen um Oberschwingungen und Netzqualität in Stromversorgungsnetzen

Autor: Alexander Kamenka

Inhalt des 1. Kapitels – Oberschwingungen: Die Grundlagen

  • Einführung
  • Grundlegendes
  • Komposition und Dekomposition verzerrter Schwingungen
  • Klassifizierung von Oberschwingungen
  • Oberschwingungsstrom, -spannung und -impedanz
  • Netzqualität bei Oberschwingungsverzerrung
  • Leistungsfaktor und Blindleistung
  • Lineare und nichtlineare Lasten

Einführung

In einer Stromversorgung würde im Idealfall überall eine perfekte sinusförmige Spannung vorliegen. In der Realität jedoch ist es nahezu unmöglich, derartige Verhältnisse zu erreichen. Die Form von Spannung und Strom weicht massiv von einer Sinusfunktion ab. Die verzerrten Schwingungsformen werden im Allgemeinen als oberschwingungsbehaftet bezeichnet.

Oberschwingungsverzerrung ist ein relativ altes Phänomen, stellt jedoch heute eines der größten Probleme für Versorgungsbetriebe, Verteilnetzbetreiber und deren Endkunden dar. Bereits in den ersten Betriebsjahren der elektrischen Stromverteilnetze stieß man auf erste Störungsprobleme, anfänglich verursacht von Quecksilberdampfgleichrichtern im industriellen Umfeld. Die größte Herausforderung damals waren die Auswirkungen der Oberschwingungsverzerrung auf die elektrischen Maschinen. Ein weiteres bekanntes Problem waren Störungen in den Telefonleitungen. Generell kann man jedoch sagen, dass die Oberschwingungsverzerrung zu der Zeit ein geringeres Gefahrenpotential darstellte als heute.

Besonders Maschinen wurden viel konservativer konstruiert, und die Verteilnetze arbeiteten nicht an ihrer Lastgrenze. Seit einigen Jahren steigt die weltweite Nachfrage nach energieeffizienten Lösungen, die nur über den vermehrten Einsatz von Leistungselektronik realisierbar sind. Dies neben der Tatsache, dass Stromversorgungsnetze häufig am Limit arbeiten, führt zu einer Zunahme von Spannungsverzerrungen. Zahlreiche Probleme sind die Folge, denen sich diese Artikel-Serie in Form eines White Papers – untergliedert in 6 Teilen – umfassend widmet. Diese werden jeweils in monatlichen Abständen unter der Rubrik „Themen des Monats“ online veröffentlicht.


Grundlegendes

Der Begriff Oberschwingungen kommt ursprünglich aus dem Themenfeld „physische Eigenwertprobleme“, also Wellen, deren Frequenzen ganzzahlige Vielfache der Grundschwingung sind. Ein Beispiel hierfür sind die Oberschwingungsfrequenzen bei Saiteninstrumenten. Eine Vorstellung von Oberschwingungen im Zusammenhang mit Elektrik kam in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf.

Wie Wellenreiter (Surfer) halten auch die meisten elektrischen Geräte quasi nach der perfekten Welle Ausschau. Bei Wechselstrom definiert sich Perfektion durch eine Sinuskurve, mit der elektrische Spannung gleichmäßig zwischen positiver und negativer Polarität hin- und herwechselt, und zwar 50 (50 Hz) oder 60 (60 Hz) mal pro Sekunde. Dennoch ist der Begriff «Welle» im Zusammenhang mit Oberschwingungen nicht ganz korrekt. Eine Welle hat eine räumliche und zeitliche Ausdehnung, wogegen die hier betrachteten Schwingungen nur eine zeitliche Ausdehnung haben. Somit definiert sich der Oberschwingungsanteil in einem Wechselstromsystem als ein sinusförmiger Anteil einer periodischen Schwingung, deren Frequenz einem ganzzahligen Vielfachen (sog. Ordnungszahl) der System-Grundfrequenz entspricht:

ƒh = n * Grundfrequenz

ƒhOrdnungszahl, n – ganze Zahl, Grundfrequenz ist 50 oder 60 Hz

Tab. 1 - Oberschwingungsfrequenzen

Tab. 1: Oberschwingungsfrequenzen

 

Abb. 1 zeigt eine ideale 50Hz-Schwingung mit Frequenzen des jeweils Dreifachen (3. Ordnung), Fünffachen (5. Ordnung), Siebenfachen (7. Ordnung) und Elffachen (11. Ordnung) der Grundfrequenz.

Abb. 1 - 3. Ordnung (n=3)

Abb. 1: 3. Ordnung (n=3)

Abb. 1 - 5. Ordnung (n=5)

Abb. 1: 5. Ordnung (n=5)

Abb. 1 - 7. Ordnung (n=7)

Abb. 1: 7. Ordnung (n=7)

Abb. 1 - 11. Ordnung (n=11)

Abb. 1: 11. Ordnung (n=11)


Komposition und Dekomposition verzerrter Schwingungen

Abb. 2 zeigt eine verzerrte Schwingung. Solch eine verzerrte Schwingung lässt sich durch die Überlagerung sinusförmiger Wellen unterschiedlicher Frequenzen und Amplituden erzielen. Sie kann also aus Oberschwingungskomponenten „zusammengesetzt“ werden (Komposition). Das Beispiel in Abb. 2 ergibt sich aus der Addition einer Sinusschwingung mit mehreren Oberschwingungen.

Abb. 2 - Verzerrte Wellenform

Abb. 2: Verzerrte Wellenform

Wenn sich aus Oberschwingungskomponenten beliebige verzerrte Wellenformen zusammensetzen lassen, kann demnach jede periodische Wellenform in eine sinusförmige Grundschwingung und mehrere harmonische Oberschwingungen zerlegt werden.

Der französische Mathematiker Jean Baptiste Fourier hat diese Methode als erster vorgestellt; sie trägt daher die Bezeichnung Fourier-Transformation. Je nach Art der Wellenform kann es Koeffizienten geben oder nicht. Nimmt man die Abb. 2 als Beispiel, ergäbe die Zerlegung eine Grundschwingung, die von Oberschwingungen der 5., 7., 11. und 13. Ordnung überlagert wird:

Abb.3 - Dekomposition einer verzerrten Wellenform

Abb.3: Dekomposition einer verzerrten Wellenform

Auf diese Weise kann die Überlagerung perfekter Sinuskurven zu einer verzerrten Sinusschwingung führen. Umgekehrt heißt das, dass eine verzerrte Sinusschwingung immer als Überlagerung einer Grundschwingung mit anderen Oberschwingungen unterschiedlicher Frequenzen und -amplituden dargestellt werden kann. Die Dekomposition lässt sich gut anhand des Oberschwingungsspektren-Diagramms in Abb. 4 visualisieren. Es stellt das Spektrum der verzerrten Schwingung aus Abb. 3 dar. Diese Art Spektrum wird auch in den meisten Geräten zur Netzqualitätsmessung eingesetzt.

Abb. 4 - Spektrum einer verzerrten Schwingung

Abb. 4: Spektrum einer verzerrten Schwingung


Klassifizierung von Oberschwingungen

Je nach Art der verzerrten Schwingung gibt es Oberschwingungen der Spannung oder des Stroms. Oberschwingungen werden anhand von zwei gängigen Begriffen beschrieben: symmetrische Komponenten und Ordnungszahlen. Die Bezeichnungen ungerade und gerade Harmonische (bzw. Oberschwingungen) sind in der Regel bekannt; der Begriff Triplen-Oberschwingungen weniger. Er bezieht sich auf die Komponenten, deren Ordnungszahlen Vielfache von drei sind. In Tab. 2 sind die Ordnungszahlen aufgeführt:

Tab. 2 - Ordnungszahlen

Tab. 2: Ordnungszahlen

Ungerade Oberschwingungen sind die charakteristischen Oberschwingungsanteile in den heutigen Stromversorgungsnetzen. Sie stellen Wellenformen dar, die bezogen auf die Zeitachse symmetrisch sind. Aufgrund der meist dreiphasigen Symmetrie der heutigen Infrastrukturen sind nahezu alle Signale symmetrisch, obwohl es zu Verzerrung kommt. Geradzahlige Oberschwingungen können nur aus Wellenformen entstehen, die nicht symmetrisch bezogen auf die Zeitachse sind.

Dreiphasensysteme haben aufgrund ihrer Konfigurationen bestimmte Oberschwingungsmerkmale mit fast nur ungeraden Oberschwingungen. Oberschwingungen in einem symmetrischen Dreiphasensystem weisen zudem einen einfachen Zusammenhang zwischen der Ordnungszahl und der entsprechenden Phasenfolge auf. Ähnlich wie die Grundschwingung lassen sich Oberschwingungen in solche mit Positiv-, Negativ- und Null-Sequenz einteilen (Mit-, Gegen- bzw. Nullsysteme). Tab. 3 zeigt das Verhältnis zwischen symmetrischen Komponenten und Ordnungszahlen:

Tab. 3 - Symmetrische Komponenten

Tab. 3: Symmetrische Komponenten

Oberschwingungen mit Positivsequenz (4., 7., 10., …) haben die gleiche Phasenfolge wie die Grundkomponente. Diese Oberschwingungen zirkulieren zwischen den Phasen.

Oberschwingungen mit Negativsequenz (2., 5., 8., …) haben die entgegengesetzte Pha-senfolge bezogen auf die Grundkomponente. Diese Oberschwingungen zirkulieren zwischen den Phasen.

Oberschwingungen mit Nullsequenz (3., 6., 9., …) erzeugen kein Drehfeld. Sie zirkulieren zwischen der Phase und dem Neutralleiter bzw. Masse. Im Gegensatz zu Positivsequenz- oder Negativsequenz-Oberschwingungsströmen heben sich Oberschwingungen dritter Ordnung oder Nullsequenz-Oberschwingungen nicht auf, sondern summieren sich im Neutralleiter.

Abb. 5 - Triplen-Oberschwingungen im Neutralleiter

Abb. 5: Triplen-Oberschwingungen im Neutralleiter


Oberschwingungsstrom, -spannung
und -impedanz

Nahezu jedes Einzelgerät kann ein Erzeuger für Oberschwingungsströme sein. Welches Gerät welche Stromverzerrung erzeugen kann, wird im Abschnitt über lineare und nichtlineare Lasten erläutert. Neben den individuellen Oberschwingungsströmen ist in der Regel auch die gesamte harmonische Verzerrung (total harmonic distortion, THD) am Verknüpfungspunkt (point of common coupling, PCC) zu analysieren. Es ist also wichtig, die Interaktion zwischen Strom und Spannung zu verstehen, wenn man sich mit der Oberschwingungsproblematik befasst und insbesondere, wenn eine Lösung gefunden werden soll, mit der sich Oberschwingungen reduzieren lassen.

Wie sich Oberschwingungsströme in einem Stromversorgungssystem verbreiten und welche Spannungsverzerrungen die Folge sind, hängt von den Eigenschaften der Oberschwingungserzeuger sowie den Eigenschaften aller Geräte ab, die an das elektrische Netz angeschlossen sind, welches analysiert werden soll. Die Auswirkungen von Impedanzen sind relativ schnell erklärt. Wenn nichtlineare Ströme durch ein elektrisches System und Übertragungsleitungen fließen, erzeugen die Impedanzen zusätzliche Spannungsabfälle. Dieser Zusammenhang ist als ohmsches Gesetz (U=Z*I) bekannt.

Die Addition der Oberschwingungsströme einzelner Geräte ist komplexer, da die Gesamt-Oberschwingungsverzerrung des Stroms auch von der Phasenverschiebung zwischen den unterschiedlichen Strömen gleicher Frequenz beeinflusst wird. Diese Phasenverschiebung kann bei nahezu Null oder nahe 180 Grad liegen und das Additionsergebnis massiv beeinflussen. Die Interpretation von Oberschwingungsströmen sollte daher Spezialisten überlassen werden. Hohe Oberschwingungsströme in einem Kabel nahe einem Gerät bedeuten nicht automatisch, dass die Oberschwingungen tatsächlich von diesem Gerät erzeugt werden. Unter Umständen ist das Gerät sogar selbst „Opfer“ einer erheblichen Spannungsverzerrung, die von einem anderen Gerät verursacht oder aus dem Netz „importiert“ wurde.


Netzqualität bei Oberschwingungsverzerrung

Anhand folgender Gleichung lassen sich Oberschwingungskomponenten grundsätzlich als Prozentzahl der Grundschwingung (%fund) oder des Effektivwerts (%r) des Gesamtstroms darstellen:

Prozentzahl der Grundschwingung (%fund) oder des Effektivwerts (%r) des GesamtstromsIn  – Amplitude der Stromschwingung n,

IAmplitude des Grundschwingungsstroms (oder Effektivwert des Gesamtstroms)

Dieser Ansatz ist auch auf Oberschwingungsspannungen anwendbar. Total Harmonic Distortion (THD) bzw. gesamte harmonische Verzerrung ist eine häufig verwendete Angabe, um den Oberschwingungsgehalt in Signalen zu quantifizieren. Sie gibt das Verhältnis des Effektivwertes aller Oberschwingungen zum Effektivwert der Grundschwingung an. Der THD-Wert wird sowohl in Nieder-, Mittel- als auch Hochspannungssystemen benutzt.

Üblicherweise wird die Verzerrung des Stroms als THDi und die Verzerrung der Spannung als THDu angegeben. Total Harmonic Current (THC) bzw. gesamter Oberschwinf2gungsstrom ist eine Angabe, um den Gesamteffektivwert der Oberschwingungsströme der Ordnungen 2 bis 40 zu quantifizieren, die zu einer Verzerrung der Stromkurve beitragen. Dieser Wert ist besonders hilfreich, um die erforderlichen Eigenschaften zur Auswahl eines effizienten aktiven Oberschwingungsfilters zu bestimmen.

Total Harmonic Distortion of Current (THDi) bzw. gesamte harmonische Verzerrung des Stroms gibt das Ausmaß der Verzerrung des Stromes an. Der Wert ist definiert als Quotient (in %) des Effektivwertes der Oberschwingungsströme im Verhältnis zum Grundschwin-gungsstrom, ermittelt an einem Lastpunkt zum genauen Zeitpunkt der Messung. Typi-scherweise wird die geometrische Summe aller Strom-Oberschwingungsanteile in Bezug auf den Grundschwingungsstrom bis einschließlich der 40. Oberschwingung berechnet:

f3

Alle durch die Lasten im Netzwerk erzeugten Oberschwingungsströme müssen durch Impedanzen (Transformatoren, Drosseln etc.) und alle weiteren parallelen Zweige fließen. An den Impedanzen kommt es zu nichtlinearen Spannungsfällen. Die so erzeugten Oberschwingungsspannungen verbreiten sich über das gesamte Netz und verursachen an anderen Geräten Verzerrungen der Versorgungsspannung.

Die harmonische Verzerrung des Stroms (THDi) ist also eine Ursache für die Verzerrung der Spannung (THDu). Total Harmonic Distortion of Voltage (THDu) bzw. gesamte harmonische Verzerrung der Spannung gibt das Ausmaß der Verzerrung der Versorgungsspannung an. Der Wert ist definiert als Quotient (in %) des Effektivwertes der Spannungsoberschwingungen im Verhältnis zum Effektivwert der Grundschwingung. Typischerweise wird die geometrische Summe aller Spannungsoberschwingungsanteile bis einschließlich zur 40. Oberschwingung bezogen auf den Effektivwert der Grundschwingung berechnet:

f4

Ein niedriger THDu-Wert ist im Allgemeinen Synonym für eine gute Spannungsqualität. Total Demand Distortion (TDD): Speziell in Nordamerika findet man fast immer auch diesen Begriff im Zusammenhang mit Oberschwingungen.Im Gegensetz zum THDi, bei dem sich der Oberschwingungsgehalt auf den Grundschwingungsanteil des Strom-Nennwertes bezieht, gibt der TDD das Verhältnis zwischen den gemessenen Stromoberschwingungen zum Grundschwingungsstrom unter Volllastbedingungen an.

Der Grundschwingungsstrom unter Volllast ist der gesamte oberschwingungsfreie Strom, der von allen Lasten im System verbraucht wird, wenn das System unter Volllast steht. Damit ist TDD der THD des Stroms (bei einem 15- oder 30-minütigen Messintervall), normiert auf den maximal auftretenden Laststrom. Der TDD darf dem THDi nur unter Volllastbedingungen gleich gesetzt werden.

f5

wobei IL = Maximallaststrom.

Gewichtete Oberschwingungs-Teilverzerrung (PWHD) ist der Quotient des Effektivwertes des Stroms oder der Spannung, gewichtet mit der Ordnungszahl n einer ausgewählten Gruppe von Oberschwingungen höherer Ordnungen (von 14 bis 40) bezogen auf den Effektivwert der Grundschwingung.

f6


Leistungsfaktor und Blindleistung

In einem dreiphasigen System sind die Spannungsschwingungen der Phasen gegeneinander um 120° verschoben. Wird jeder Außenleiter gleich belastet, ergibt sich ein Stromwert von Null im Neutralleiter. Bei Belastung des Netzwerkes durch Oberschwingungsströme addieren sich die Oberschwingungen der durch drei teilbaren Ordnung im Neutralleiter. Dadurch kann der Strom im Neutralleiter um ein bis zu Dreifaches grösser als in jedem der Außenleiter werden.

Der Leistungsfaktor ist ein Parameter, der von Netzrückwirkungen wie Oberschwingungsverzerrung oder Unsymmetrie beeinflusst werden kann. Er verschlechtert sich mit fortschreitender Phasenverschiebung zwischen Strom und Spannung und mit zunehmender Verzerrung der Stromkurve.

Er ist defFormel 7iniert als Quotient aus dem Betrag der Wirkleistung und Scheinleistung und ist somit ein Maß für die Effizienz, mit der eine Last Energie nutzt. In einem elektrischen Stromversorgungssystem nimmt eine Last mit hohem Leistungsfaktor bei der gleichen Menge an übertragener Nutzleistung also weniger Leistung auf als eine Last mit niedrigem Leistungsfaktor und hat letztendlich auch einen höheren Wirkungsgrad. Da sich bei Oberschwingungsbelastung kein einheitlicher Phasenverschiebungswinkel angeben lässt, dürfen der Leistungsfaktor λ und der häufig verwendete Wirkfaktor cosφnicht gleichgesetzt werden. Ausgehend von der Formel:

Formel 9

wobei I1 Grundschwingungseffektivwert des Stroms, I = Gesamteffektivwert des Stroms, g1 = Grundschwingungsgehalt des Stroms und  cosφ1= Verschiebungsfaktor, erkennt man, dass nur bei sinusförmiger Spannung und Strom (g=1) der Leistungsfaktor λ gleich dem Verschiebungsfaktor cosφ1 ist. Somit ist ausschließlich bei sinusförmigen Strömen und Spannungen der Leistungsfaktor λ gleich dem Kosinus des Phasenverschiebungswinkels φ und wird definiert als

Formel 10

= Wirkfaktor. Ein schlechter Leistungsfaktor ist gewöhnlich auf nichtlineare Lasten zurückzuführen.

BlindleistungVersorgungsbetriebe transportieren über ihre Versorgungsnetze Energie vom Erzeuger zum Verbraucher. Die Leistung in einer elektrischen Anlage entspricht der Menge der Energie, die durch einen bestimmten Punkt in der Anlage fließt. In Wechselstromkreisen können Energiespeicherelemente wie z.B. Induktivitäten und Kapazitäten eine periodische Umkehrung des Energieflusses verursachen.

Der Teil der Leistung, der, gemittelt über einen kompletten Wechselspannungszyklus, einen Nettoenergiefluss in eine Richtung erzeugt, wird als Wirkleistung bezeichnet. Der Anteil der durch Speicherenergie erzeugten Leistung, welche in jedem Zyklus zur Quelle zurückfließt, wird als Blindleistung bezeichnet. Blindleistung wird zum Aufbau des Magnetfeldes von Maschinen benötigt. Doch überträgt die Blindleistung keine Energie, sondern verursacht Blindarbeitskosten sowie Übertragungsverluste. Der Blindleistungsbedarf sollte daher möglichst klein gehalten werden. Ausgehend von der Entstehung der Blindenergie spricht man von:

  • Verschiebungsblindleistung
    • Entstehung durch Winkelverschiebung zwischen Strom und Spannung
  • Oberschwingungsblindleistung
    • Entstehung durch Oberschwingungen in Strom und Spannung
  • Modulationsblindleistung
    • Entstehung durch periodische Lastfluktuationen
  • Unsymmetrie-Blindleistung
    • Entstehung durch ein- und zweiphasige Lasten

     

Abb. 6 - Leistung bei Oberschwingungsbelastung

Abb. 6: Leistung bei Oberschwingungsbelastung


Lineare und nichtlineare Lasten

Lineare Lasten weisen sehr nah aufeinanderfolgende Spannungs- und Stromsignale auf. In einem Wechselstromkreis bedeutet dies, dass das Anlegen einer Sinusspannung einen Sinusstrom erzeugt. Da sich die Momentanspannung über die Sinusperiode ändert, steigt und fällt der Momentanstrom proportional zur Spannung, und die Stromkurve wird ebenfalls sinusförmig. Dieses Verhalten der Spannung und des Stroms lässt sich anhand des ohmschen Gesetzes erklären. Es besagt, dass der Strom, Formel 11der durch einen Widerstand fließt, welcher von einer Wechselspannungsquelle gespeist wird, gleich dem Verhältnis zwischen Spannung und Widerstand ist.

Gäbe es in einem elektrischen Netz nur lineare Lasten, wäre die Berechnung der Spannungs- und Stromschwingungen einfach. Auch die Leistung ließe sich einfach aus dem Produkt der beiden Größen Spannung und Strom errechnen. Tabelle 4 führt einige lineare Lasten auf. Man sieht, dass Lasten, bei denen die beiden Schwingungen phasengleich sind (ohmsche Last), aber auch Lasten mit voreilendem Spannungsverlauf (induktive Last) oder voreilendem Stromverlauf (kapazitive Last) als linear gelten, denn es ist keine Verzerrung der Schwingungsform erkennbar, auch wenn die Strom und Spannung phasenverschoben sind.

Tab. 4 - Lineare Lasten

Tab. 4: Lineare Lasten

Die Erklärung für lineare Lasten führt direkt zu der für nichtlineare Lasten. Eine Last gilt als nichtlinear, wenn der von der Last aufgenommene Strom nicht sinusförmig ist, auch wenn er mit einer Sinusspannung verbunden ist. Daher kann das Verhältnis von v und i nicht mehr anhand des ohmschen Gesetzes beschrieben werden, denn der Widerstand der Last ist keine konstante Größe, und der Strom ändert sich während jeder Sinusschwingung der angelegten Spannung, wodurch eine Reihe positiver und negativer Pulse entsteht.

Dieser nichtlineare Strom enthält Frequenzkomponenten, die Vielfache der Frequenz des Stromversorgungssystems sind. Diese Oberschwingungsströme wirken mit der Impedanz im Stromversorgungssystem zusammen und erzeugen eine Spannungsverzerrung, die Auswirkungen auf das Stromversorgungssystem und die damit verbundenen Lasten haben kann.

Kapitel 4 widmet sich diesen Auswirkungen ausführlich. Zu nichtlinearen Lasten in einem Stromversorgungssystem zählen typischerweise Gleichrichter, beispielsweise in Netzteilen, oder Bogenentladungsgeräte wie Leuchtstofflampen, elektrische Schweißanlagen oder Lichtbogenöfen. Die bei weitem gebräuchlichsten Lasten in modernen Stromversorgungssystemen sind energieeffiziente Frequenzumrichter und Schaltnetzteile. Diese sogenannte Leistungselektronik mit nicht-sinusförmigen Strömen wird heutzutage am häufigsten eingesetzt. Die Verwendung rein linearer Lasten ist sehr stark zurückgegangen. Tab. 5 führt einige nichtlineare Geräte auf.

Tab. 5 - Nichtlineare Lasten

Tab. 5: Nichtlineare Lasten

 


Quellen:

  • IEEE Std. 519-1992 IEEE Recommended Practices and Requirements for Harmonic Control in Electric Power Systems.
  • Baggini, A., Handbook of Power Quality, Wiley, New York, 2008.
  • International Standard IEC 61000-4-7:2002 ed. 2.0 Electromagnetic compatibility (EMC) – Part 4-7: Testing and measurement techniques –General guide on harmonics and interharmonics measurements and instrumentation, for power supply systems and equipment connected thereto
  • Arrillaga, J. and Watson, N., Power Systems Harmonics, 2nd ed., Wiley, New York, 2003.

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