Oberschwingungen Kapitel 5: Filtertechniken für Oberschwingungen

6 Themen um Oberschwingungen und Netzqualität in Stromversorgungsnetzen

Autor: Alexander Kamenka

Inhalt des 5. Kapitels – Filtertechniken für Oberschwingungen:

  • Überblick
  • Vorbeugende Massnahmen
  • AC-Netzdrosseln
  • Zwischenkreisdrosseln
  • Mehrpuls-Gleichrichter
  • Abhilfemassnahme
  • Passive Oberschwingungsfilter
  • Aktive Oberschwingungsfilter

Überblick

Wenn Sie die vorherigen Kapitel aufmerksam gelesen haben, so sind Ihnen zahlreiche Gründe aufgefallen, warum die Reduzierung von Oberschwingungen nicht nur ein Kann, sondern ein Muss ist. Sie ist in jedem Fall unerlässlich, wenn entsprechende Massnahmen durch Normen und Vorschriften vorgegeben werden.

Die zusätzlichen Verluste und zahlreichen Probleme, die durch Oberschwingungen verursacht werden, sind gleichermassen ein Anlass, sich mit der Eindämmung von Oberschwingungen zu befassen. Die Methoden zur Reduzierung von Oberschwingungen in Stromversorgungssystemen lassen sich in zwei Kategorien einteilen.

Die erste beinhaltet Vorbeugungs- bzw. Vorsichtsmassnahmen und die zweite Korrektur- bzw. Abhilfemassnahmen. In den nachfolgenden Kapiteln werden die Methoden sowie die damit verbundenen Vor- und Nachtteile erörtert.


Vorbeugende Maßnahmen

Vorbeugende Maßnahmen haben zum Ziel, Oberschwingungen und deren Auswirkungen zu vermeiden. Diese technischen Lösungen sind im Wesentlichen auf eine Reduzierung der Oberschwingungsaussendung nichtlinearer Lasten ausgerichtet. Die Lösungen bestehen in der Regel darin, die Lasten hinsichtlich ihrer Bauweise oder Technologie zu modifizieren.

Die beiden häufigsten Methoden sind der Einsatz von AC-Netzdrosseln oder Zwischenkreisdrosseln bei herkömmlichen Gleichrichtern bzw. der Einsatz von Mehrpuls-Gleichrichtern.

AC-Netzdrosseln

Netzdrosseln sind niederohmige Spulen zur Reduzierung hochfrequenter Ströme. Durch den Einsatz von AC-Netzdrosseln lässt sich die durch Gleichrichter verursachte Stromverzerrung erheblich senken. Eine Netzdrossel ist im Prinzip eine Induktivität, die ein Magnetfeld um eine Drahtspule erzeugt, wenn Strom hindurchfliesst.

Sobald sie unter Spannung steht, ist sie ein Elektromagnet, dessen Feldstärke proportional zur Stromstärke und Anzahl der Wicklungen ist. Eine einfache Drahtwicklung bezeichnet man als Luftspule, mehrere Wicklungen bedeuten eine höhere Nenninduktivität. Neben der Dämpfung von Oberschwingungen können Netzdrosseln Spannungstransienten absorbieren, die dazu führen könnten, dass ein Frequenzumrichter (variable frequency drive, VFD) aufgrund von Überspannung ausfällt. AC-Netzdrosseln werden in Serie am Eingang der Frequenzumrichter installiert.

Das Ausmass der Oberschwingungsverzerrung und das tatsächliche Oberschwingungsspektrum hängen von der Effektivimpedanz ab, die die Netzdrossel in Bezug auf die Last darstellt. Durch den Einsatz einer Netzdrossel mit 4% Impedanz lässt sich nachweislich eine angemessene Oberschwingungsdämpfung erzielen. In dem Beispiel in Abbildung 12 ist eine AC-Netzdrossel an einem Sechspuls-Gleichrichter angeschlossen.

 

Anschluss einer AC-Netzdrossel

Abb. 12: Anschluss einer AC-Netzdrossel

 

Netzdrosseln verursachen einen Spannungsfall, der wiederum zu einem leichten Anstieg des Systemverlustes führt. Bei angemessenen Impedanzwerten können Netzdrosseln den THDI auf maximal 35% reduzieren.

Die Fähigkeit der Netzdrossel, Oberschwingungen zu reduzieren, verringert sich zudem proportional mit kleiner werdendem Laststrom, da die prozentuale Effektivimpedanz der Netzdrossel reduziert wird. Eine Netzdrossel mit 4% Effektivimpedanz erzielt unter Volllast eine Oberschwingungsverzerrung von 37% THDi; bei 50% Last hat sie dagegen nur 2,0% Effektivimpedanz {0,5 x 4% = 2,0%}, und der THDi beträgt etwa 53%.

Tabelle 21 zeigt die Eingangsimpedanz im Vergleich zu den Restoberschwingungen [%] von AC-Netzdrosseln für jede Ordnungszahl.

 

AC-Netzdrosseln – Ordnungszah / Eingangsimpedanz vs. Restoberschwingungen [%]

Tab. 21: AC-Netzdrosseln – Ordnungszah / Eingangsimpedanz vs. Restoberschwingungen [%]

Zwischenkreisdrosseln

Zwischenkreisdrosseln sind eine kostengünstige Lösung zum Filtern der pulsierenden Gleichspannung in einem Umrichter. Eine Zwischenkreisdrossel wird – wie der Name schon sagt – zwischen dem Eingangsgleichrichter und Zwischenkreiskondensator installiert. Die zusätzliche Induktivität begrenzt die Änderungsrate des Leitungsstroms in die Kondensatoren relativ zur Zeit (di/dt). Dadurch werden niedrigere Spitzenströme erzielt. Mit dem Einsatz einer Zwischenkreisdrossel kann die Oberschwingungs-belastung auf Werte im Bereich 40% THDi reduziert werden.

Abbildung 13 zeigt eine Zwischenkreisdrossel, in einem Sechspuls-Gleichrichter.

 

Zwischenkreisdrossel

Abb. 13: Zwischenkreisdrossel

 

Mehrpuls-Gleichrichter

Höhere Pulszahlen in einem Gleichrichter wirken sich direkt auf die vorhandenen Oberschwingungsordnungen und damit auf den Oberschwingungsgehalt im Stromversorgungssystem aus. Gleichrichter mit niedriger Pulszahl lassen sich miteinander verschalten.

Gleichrichter mit höherer Pulszahl, die besonders in Hochleistungsapplikationen verwendet werden, sind 12-, 18- und 24-Puls-Konfigurationen, die bei geeigneter Auslegung die erste charakteristische Oberschwingung auf die jeweils 11., 17. oder 23. erweitern. Ein Zwölfpuls-Gleichrichter verwendet in der vorgeschalteten Gleichrichterschaltung 12 statt 6 Dioden, ein 18-Puls-Gleichrichter 18 statt 6 Dioden und ein 24-Puls-Gleichrichter 24 statt 6 Dioden.

Tabelle 22 zeigt die verschiedenen Oberschwingungsspektren bei unterschiedlichen Pulszahlen.

 

Oberschwingungen vs. Pulszahl

Tab. 22: Oberschwingungen vs. Pulszahl

 

Der Mehrpulsbetrieb lässt sich über eine Serien- oder Parallelschaltung von Sechspuls-Gleichrichtern realisieren, mit entsprechender Phasenverschiebung zwischen den Spannungen, welche die Diodenbrücken versorgen.

Abbildung 14 zeigt einen Zwölfpuls-Gleichrichter mit einer erforderlichen Phasenverschiebung von 30 Grad und Abbildung 15 einen 18-Puls-Gleichrichter mit einer Phasenverschiebung von 20 Grad.

 

12-Puls-Konfiguration

Abb. 14: 12-Puls-Konfiguration

18-Puls-Konfiguration

Abb. 15: 18-Puls-Konfiguration

 

Mithilfe 12- oder höherpulsigen Konfigurationen lassen sich Stromoberschwingungen niedrigerer Ordnungen merklich reduzieren. Diese Konfigurationen verursachen häufig sogenannte nichtcharakteristische Oberschwingungen z.B. der 5. oder 7. Ordnung bei 12-Puls-Konfigurationen. Der Grund hierfür liegt hauptsächlich in der ungenauen Phasenverschiebung der Spannungen. Doch auch Unsymmetrie und Verzerrung innerhalb der Spannung sowie eine unsymmetrische Regelung der Brücken kann solche Auswirkungen haben.

Diese Bauteile haben eine grosse Basisfläche und enthalten mehr Stahl und Kupfer, was höhere Gesamtverluste zur Folge hat. Die Baukosten sind erheblich höher, da ein Transformator mit zwei oder drei phasenverschobenen Ausgangswicklungen erforderlich ist, um die für einen einwandfreien Betrieb erforderliche Phasenverschiebung zu erreichen. All diese Faktoren gilt es bei der Planung von Applikationen, die nur minimale Oberschwingungen aufweisen sollen, zu betrachten und mit einer Filterlösung zu vergleichen.


Abhilfemaßnahmen

In realen Umgebungen reichen vorbeugende Maßnahmen häufig nicht aus, um die in Normen spezifizierten Grenzwerte für Oberschwingungsverzerrung einzuhalten. In den meisten Applikationen muss der Oberschwingungsgehalt so niedrig sein, dass ein sicherer und zuverlässiger Betrieb der elektrischen und elektronischen Geräte sichergestellt wird.

Der Einsatz von Oberschwingungsfiltern zur Reduktion der Oberschwingungsverzerrung in einem Stromversorgungssystem, ist heute Stand der Technik. Oberschwingungsfilter lassen sich in passive und aktive Filter unterteilen. Beide dienen dazu, Oberschwingungen zu kompensieren und damit den bestehenden Oberschwingungsgehalt auf das zulässige oder gewünschte Niveau zu senken.

Passive Oberschwingungsfilter

Passive Oberschwingungsfilter sind eine wirtschaftliche Lösung zur Reduktion von lastinduzierten Oberschwingungen in dreiphasigen Netzen. Alle passiven Oberschwingungsfilter haben kapazitive Eigenschaften, da sie Induktivitäten, Kapazitäten und Widerstandselemente enthalten, die so konfiguriert und abgestimmt sind, dass sie Oberschwingungen kontrollieren können. Technisch gesehen bilden solche speziell abgestimmten Filter niederimpedante Pfade für die Oberschwingungsströme bestimmter Frequenzen.

Passive Oberschwingungsfilter sind ausgelegt für den Betrieb mit praktisch jeder Art von leistungselektronischen Geräten mit 6-Puls-Gleichrichterschaltung am Eingang. Aus diesem Grund werden die Filterkreise normalerweise auf die 5., 7., 11. und 13. Oberschwingung abgestimmt und stellen niederimpedante Pfade für diese Ströme mit den entsprechenden Frequenzen dar.

Abbildung 16 zeigt die Basiskonfiguration eines abgestimmten passiven Oberschwingungsfilters. Die Herausforderung liegt darin, einen LC-Schwingkreis im Hinblick auf seine Position im System angemessen zu dimensionieren, um eine Resonanzfrequenz zu erzielen, die der Resonanzfrequenz der Oberschwingung entspricht, welche beseitigt werden soll. Die unerwünschten Oberschwingungen werden dann in den Filter umgeleitet und können somit nicht zur Energiequelle fließen. Somit werden alle Komponenten des Versorgungssystems vor dem Filter von Oberschwingungen entlastet.

 

Passiver Oberschwingungsfilter A) nicht eingesetzt B) eingesetzt

Abb. 16: Passiver Oberschwingungsfilter A) nicht eingesetzt B) eingesetzt

 

Passive Oberschwingungsfilter eignen sich zur Benutzung direkt an Einzellasten oder Gruppen von Lasten. Daher sollten sie in der Nähe von Einzellasten oder an der zentralen Stromversorgung der Lastengruppe installiert werden. Der gesamte Oberschwingungsstrom fließt dann weiterhin zwischen dem passiven Oberschwingungsfilter und den nichtlinearen Lasten. Das heißt, Nutznießer des Filters ist der Teil des elektrischen Systems, der «stromaufwärts» des Filteranschlusspunktes liegt.

Maximale Filterleistung wird häufig erst bei voller Last erzielt, da Teillastbedingungen eine Herausforderung sowohl hinsichtlich Oberschwingungsreduzierung als auch hinsichtlich des kapazitiven Stroms darstellen können. Ein technisch ausgereifter und angemessen dimensionierter Filter bietet also nicht nur eine sehr effiziente Oberschwingungsreduktion mit einem garantiertem THDi-Bemessungswert von maximal 5-8% über den gesamten Lastbereich, sondern begrenzt zudem den kapazitiven Strom unter sämtlichen (Last-) Bedingungen.

Abbildung 17 zeigt die Leistungskurve eines hochentwickelten passiven Oberschwingungsfilters.

 

Leistungskurve eines passiven Oberschwingungsfilters

Abb. 17: Leistungskurve eines passiven Oberschwingungsfilters

 

Ein Nachteil passiver Oberschwingungsfilter ist, dass sie nur die Oberschwingungen kompensieren können, für die sie ausgelegt sind. Sie können sich nicht automatisch an Veränderungen im elektrischen Netz anpassen. Passive Oberschwingungsfilter sind also nur dann eine effiziente und wirtschaftliche Lösung, wenn ganz bestimmte, von einem speziellen Gerät verursachte Oberschwingungsfrequenzen reduziert werden sollen.

Aktive Oberschwingungsfilter

Ein aktiver Oberschwingungsfilter (active harmonic filter, AHF) ist ein hochentwickeltes leistungselektronisches Gerät zur Kompensation von Oberschwingungsströmen in Stromversorgungsnetzen. In den letzten zehn Jahren ist der Anteil an nichtlinearen Lasten drastisch gestiegen. Infolgedessen haben Netzrückwirkungen aufgrund von Oberschwingungen in Stromversorgungssystemen massiv zugenommen.

Insbesondere willkürlich variierende Amplituden und häufige und sehr dynamische Lastwechsel können dazu führen, dass ein passiver Oberschwingungsfilter nicht effizient arbeitet. Zudem entstehen aufgrund der Lastbedingungen und unterschiedlichen Konfigurationen in modernen Systemen Oberschwingungen bis hin zur 50. Ordnung. Höher entwickelte aktive Filterkonzepte sind für einen derart breiten Frequenzbereich ausgelegt und passen sich im Betrieb an das entstehende Oberschwingungsspektrum an.

Aktive Oberschwingungsfilter sind Power-Quality-Geräte, die nichtlineare Lasten permanent überwachen und einen dynamisch geregelten Kompensationsstrom liefern. Dieser Strom hat die gleiche Amplitude wie der Oberschwingungsstrom, wird jedoch mit entgegengesetzter Phasenlage eingeprägt. Damit werden die Oberschwingungsströme im elektrischen System ausgelöscht.

Der von der Spannungsquelle zugeführte Strom bleibt sinusförmig, da die Oberschwingungen sich gegenseitig aufheben, und die Oberschwingungsverzerrung sinkt auf Werte unter 5% THDi. Damit sind die Anforderungen aller gängigen Netzqualitäts-Normen weltweit erfüllt. Darüber hinaus passen sich aktive Oberschwingungsfilter kontinuierlich an hochdynamische Lastschwankungen an.

Abbildung 18 zeigt die Funktionsweise eines aktiven Oberschwingungsfilters.

 

Funktionsweise eines aktiven Oberschwingungsfilters

Abb. 18: Funktionsweise eines aktiven Oberschwingungsfilters

 

Aktive Oberschwingungsfilter kompensieren darüber hinaus gezielt, sicher und hochdynamisch Blindleistung und stellen so einen guten Leistungsfaktor sicher. Modernere Geräte verfügen über IGBTs und Komponenten zur digitalen Signalverarbeitung (DSPs). Aktive Oberschwingungsfilter lassen sich prinzipiell überall in einem Niederspannungswechselstromnetz installieren und bieten meist viel mehr Funktionen als ihr passives Pendant:

  • Globale oder individuelle Kompensation von Oberschwingungsströmen (1.–50. Ordnung)
  • Blindleistungskompensation und Leistungsfaktorkorrektur
  • Kompensation von Flicker (durch Blindleistung verursacht)
  • Vermeidung von Oberschwingungsresonanzen

Neben dieser Funktionalität bieten aktive Oberschwingungsfilter kleine Produktabmessungen und hohe Effizienz. Somit eignen sie sich hervorragend für den Einsatz in zahlreichen kommerziellen und industriellen Anwendungen. Aktive Oberschwingungsfilter sind entweder:

  • 3-Leiter-Geräte
    • Häufig eingesetzt im Industrieumfeld mit Frequenzumrichter- und ähnlichen Anwendungen mit zahlreichen nichtlinearen Lasten
  • 4-Leiter-Geräte
    • Eliminieren Oberschwingungen, die von einphasigen Lasten erzeugt werden, z.B. getaktete Schaltnetzteile und IT-Anlagen
    • Bieten die Möglichkeit, Triplen-Oberschwingungen im Neutralleiter zu kompensieren

Aktive Oberschwingungsfilter eignen sich zur Benutzung an einzelnen oder Gruppen von nichtlinearen Lasten. Des Weiteren können sie eingesetzt werden, wenn …

  • eine Leistungsfaktorkorrektur in oberschwingungsbehafteten Systemen mit Kondensatoren nicht ausreichend möglich ist,
  • sowohl eine Leistungsfaktor- als auch Oberschwingungskorrektur erforderlich ist,
  • Notstrom bzw. dezentrale Energieversorgung im elektrischen System vorhanden ist.

 

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