Oberschwingungen Kapitel 3: Auswirkungen von Oberschwingungen

6 Themen um Oberschwingungen und Netzqualität in Stromversorgungsnetzen

Autor: Alexander Kamenka

Inhalt des 3. Kapitels – Auswirkungen von Oberschwingungen

  • Einführung
  • Leistungsfaktor
  • Aussenleiter und Neutralleiter
  • Transformatoren
  • Motoren und Generatoren
  • Elektrische und elektronische Betriebsmittel
  • Blindleistungskompensation (PFC)
  • Schutzschalter

Einführung

Die Oberschwingungsbelastung von Netzwerkinfrastrukturen samt ihrer elektrischen und elektronischen Verbraucher ist in den vergangenen Jahren drastisch gestiegen. Weltweit gibt es eine deutliche Tendenz: Je mehr Leistungselektronik zum Einsatz kommt, desto höher die Spannungsverzerrung. Andererseits ist für einen zuverlässigen und effizienten Betrieb aller Geräte eine sehr hohe Netzqualität (Power Quality) unabdingbar.

Anders ausgedrückt ist die Empfindlichkeit von Geräten gegenüber Strom- und Spannungsverzerrungen in dem Maße gestiegen, wie diese Geräte Oberschwingungsverzerrungen erzeugen. Die meisten Anlagen sind so konstruiert, dass sie bei (nahezu) sinusförmiger Spannung / Strom effizient arbeiten. Da die Realität jedoch anders aussieht, sollte man sich auf jeden Fall mit den Auswirkungen von Oberschwingungen und deren Tragweite auseinandersetzen.

Um die Auswirkungen von Oberschwingungen allgemein zu beschreiben, ist eine Einteilung nach Dauer sinnvoll, z.B. kurz- oder langzeitige Auswirkungen. Kurzzeitauswirkungen von Oberschwingungen sind Ausfälle oder Fehlfunktionen von Geräten, die einer hohen Oberschwingungsverzerrung ausgesetzt sind.

Die Langzeitauswirkungen von Oberschwingungen sind thermischer Natur. Oberschwingungen verursachen einen Anstieg der Temperatur im elektrischen Netz und in den Anlagen. Höhere Temperaturen in elektrischen oder elektronischen Geräten und Maschinen, Kabeln und Transformatoren bedeuten nicht nur höhere Verluste, sondern auch viel kürzere Lebenszeiten.

Das nachfolgende Kapitel beschreibt Beispiele für die Auswirkungen von Oberschwingungen auf verschiedene Parameter und Betriebsmittel.


Leistungsfaktor

Der Leistungsfaktor (power factor, PF) ist ein Parameter, der von Netzrückwirkungen wie Oberschwingungsverzerrung oder Unsymmetrie beeinträchtigt werden kann. Er verschlechtert sich mit fortschreitender Phasenverschiebung zwischen Strom und Spannung und mit zunehmender Verzerrung der Stromkurve. Er ist definiert als Quotient aus dem Betrag der Wirkleistung und Scheinleistung  und somit ein Maß für die Effizienz, mit der eine Last Energie nutzt.

In einem elektrischen Stromversorgungssystem nimmt – bei der gleichen Menge an übertragener Nutzleistung – eine Last mit hohem Leistungsfaktor weniger Strom auf als eine Last mit einem niedrigen Leistungsfaktor und hat somit auch einen höheren Wirkungsgrad. Da sich bei Oberschwingungsbelastung kein einheitlicher Phasenverschiebungswinkel angeben lässt, dürfen der Leistungsfaktor λ und der häufig verwendete Wirkfaktor  nicht gleichgesetzt werden.

Ausgehend von der Formel , wobei Grundschwingungseffektivwert des Stroms, I = Gesamteffektivwert des Stroms, g1 = Grundschwingungsgehalt des Stroms und   cosφ1  = Verschiebungsfaktor ist, erkennt man, dass nur bei sinusförmiger Spannung und Strom (g=1) der Leistungsfaktor λ gleich dem Verschiebungsfaktor  ist. Somit ist ausschließlich bei sinusförmigen Strömen und Spannungen der Leistungsfaktor λ gleich dem Kosinus des Phasenversatzwinkels φ und wird definiert als  Wirkfaktor.

Ein schlechter Leistungsfaktor ist gewöhnlich auf nichtlineare Lasten zurückzuführen.


Außenleiter und Neutralleiter

In einem dreiphasigen System sind die Spannungsschwingungen der Phasen gegeneinander um 120° verschoben. Wenn jeder Außenleiter gleich belastet wird, wird der Summenstrom im Neutralleiter zu Null. Bei Belastung des Netzwerkes durch Oberschwingungsströme addieren sich die Oberschwingungen der durch drei teilbaren Ordnung im Neutralleiter. Dadurch kann der Strom im Neutralleiter um ein bis zu Dreifaches höher als in jedem der Außenleiter werden.

Zudem kann das Vorhandensein von Oberschwingungen im Strom letztendlich zu einer Überlastung sowohl des Außenleiters als auch des Neutralleiters führen; auch ist die Temperatur in den Kabeln weit höher als unter Idealbedingungen. Dies kann zu einer Überhitzung der Kabel und schlimmstenfalls zu Brand führen.


Transformatoren

Transformatoren versorgen alle linearen und nichtlinearen Lasten. Sie können durch Oberschwingungen auf verschiedene Weise beeinträchtigt werden, zu nennen sind hier zusätzliche Verluste sowie Triplen-Oberschwingungen. Die Verluste werden durch magnetische Streuverluste im Kern sowie Wirbelstromverluste in den Wicklungen verursacht. Da Wirbelstromverluste quadratisch proportional der Frequenz sind, spielen sie beim Vorhandensein von Oberschwingungen eine wichtige Rolle.

Diese zusätzlichen Verluste erzeugen mehr Wärme, wodurch die Lebensdauer der Transformatorisolierung erheblich verkürzt wird. Besonders in industriellen Anwendungen mit primär nichtlinearen Lasten können Transformatoren aufgrund hoher Oberschwingungsverzerrungen häufig nicht im Nennleistungsbereich betrieben werden.

In Niederspannungsverteilsystemen werden Transformatoren meist in einer Stern-Dreieck-Schaltung miteinander verbunden. Transformatoren in einer Stern-Dreieck- oder Delta-Delta-Schaltung verhindern Neutralleiterströme (Triplen-Oberschwingungen). Diese Ströme sind alle in Phase und zirkulieren in den Wicklungen. Dadurch steigt der Effektivwert des Stroms, und es wird zusätzliche Wärme erzeugt. Diese Effekte sind bei der Transformatorauslegung unbedingt zu berechnen und zu beachten.


Motoren und Generatoren

In Motoren und Generatoren führen Oberschwingungen zu zusätzlichen Leistungsverlusten und somit zu einem erheblichen Temperaturanstieg in den Geräten. Grund dafür ist der Effektivwiderstand, der bei höherer Frequenz ansteigt. Infolgedessen verursacht eine Stromverzerrung aufgrund von Oberschwingungen höhere Verluste in den Wicklungen und somit stärkere Wärmeentwicklung.

Ein weiterer Effekt, der größtenteils Oberschwingungen mit Negativsequenz geschuldet ist (siehe Kapitel 1), sind magnetomotorische Kräfte unterschiedlicher Frequenzen, die gegen das normale Motorenwellen-Drehmoment arbeiten. Dies kann stärkere Vibrationen, eine Abnutzung der Lager und letztendlich frühzeitige Anlagenausfälle verursachen.


Elektrische und elektronische Betriebsmittel

Diese Betriebsmittel sind eher Erzeuger von Oberschwingungen als deren «Opfer». Dennoch sind elektrische und besonders elektronische Geräte bekanntermaßen empfindlich gegenüber Oberschwingungsverzerrungen. Die Folgen sind meist ungewollter, unsicherer Betrieb oder Fehlfunktionen verursacht durch Oberschwingungen, darunter:

  • Nulldurchgangsstörungen
  • Anstieg der maximalen Versorgungsspannung aufgrund von Oberschwingungen
  • Fehlerinterpretation digitaler Signale durch Störungen aufgrund von Oberschwingungen
  • Fehlerhafter Betrieb oder Ausfall von IT-Anlagen einschließlich Datenverlust und Abschaltungen
  • Fehlfunktionen von Schutzbauteilen durch Störungen aufgrund von Oberschwingungen

Blindleistungskompensation (PFC)

In der Regel sind Belastungen aufgrund von übermäßiger Spannung, Strom, Temperatur und Leistung die Grundursache für den dielektrischen Durchschlag bei Kondensatoren. Diese Faktoren sind bekannt, und Kondensatorbank-Hersteller stellen meist Daten zu den zulässigen Überlastfaktoren zur Verfügung.

Doch Oberschwingungen haben auch Auswirkungen auf Kondensatoren zur Leistungsfaktorkorrektur. Bei einem Anstieg der Spitzenspannung aufgrund von hohen Oberschwingungen wird das Dielektrikum zusätzlich belastet, was zu einer Teilentladung in der Isolierung (Kurzschluss innerhalb der Folie) und letztendlich zu bleibenden Schäden am Kondensator führen kann.

Häufiger jedoch lassen sich Kondensatorprobleme durch Oberschwingungen auf den Strom zurückführen. Da die Kapazität umgekehrt proportional zur Frequenz ist, sinkt die Impedanz bezüglich der Spannungsoberschwingung bei steigender Ordnungszahl. Somit absorbiert ein Kondensator beim Vorhandensein von Spannungsoberschwingungen viel höhere Ströme.

Eine Spannungsverzerrung kann demnach bewirken, dass von einem Kondensator Strom aufgenommen wird, was letztendlich zusätzliche Verluste und vorschnelles Altern der Isolierung bedeutet und unter Umständen zu ernsten und permanenten Schäden am Kondensator führen könnte. Noch gravierender werden die oben beschriebenen Auswirkungen, wenn sie durch Parallel- oder Serienresonanz verstärkt werden.


Schutzschalter

Fehlauslösungen sind das Hauptproblem, das Oberschwingungen bei Schutzschaltern verursachen. Ein Fehlerstromschutzschalter (FI, RCCB) ist ein elektromechanisches Gerät, das die Ströme im Außen- und Neutralleiter addiert. Bewegt sich das Ergebnis nicht innerhalb der festgelegten Grenzwerte, wird die Last vom Netz getrennt. Wenn Oberschwingungen vorliegen, addiert ein FI-Schalter unter Umständen die höheren Frequenzanteile nicht richtig und löst daher fehlerhaft aus.

Ein weiterer Grund für ein Auslösen steht indirekt in Zusammenhang mit Oberschwingungen. Die Betriebsmittel, die Oberschwingungen erzeugen, erzeugen auch Schaltstörungen. Diese Störungen müssen am Stromanschluss der Betriebsmittel herausgefiltert werden. Die entsprechenden Filter haben einen Kondensator von allen Außenleitern zum Neutralleiter und zur Masse und leiten so einen kleinen Leckstrom gegen Masse ab.

Dieser Strom ist durch internationale Normen auf weniger als 3,5 mA je Gerät begrenzt und liegt für gewöhnlich weit darunter. Werden solche Betriebsmittel aber alle an denselben Stromkreis angeschlossen, kann dieser Grenzwert überschritten werden. Da Fehlauslösungen Produktionsstillstände oder -unterbrechungen und somit Zeitaufwand für Neustarts verursachen können, sind sie ernstzunehmende und kostenintensive Auswirkung von Oberschwingungen.


Quellen:

  • Effects of Nonlinear Loads on Electrical Circuits and Equipment: Summary of a symposium, Federal Construction Council, 1991
  • Baggini, A., Handbook of Power Quality, Wiley, New York, 2008.
  • Arrillaga, J. and Watson, N., Power Systems Harmonics, 2nd ed., Wiley, New York, 2003.
  • Smith, Robert L., ‎ Herman, Stephen L., Electrical Wiring Industrial, Delmar, 2004

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